Themenerweiterung für die Plattform Rettungswesen

Notfall werden ist nicht schwer, Notfall sein dagegen sehr

FMH
Ausgabe
2019/2930
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18006
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(2930):966

Affiliations
a Prof. Dr. med., SGAR-Vertreter Plattform Rettungswesen FMH, Präsident; b Dr. med., SGI-Vertreter Plattform Rettungswesen FMH; c Dr. med., SGAIM-Vertreter Plattform Rettungswesen FMH

Publiziert am 16.07.2019

Der Zentralvorstand hat der Plattform Rettungswesen der FMH nahegelegt, sich über die Versorgung schwerwiegender oder lebensbedrohlicher Störungen hinaus in Zukunft grundsätzlich mit der Organisation des medizinischen Notfalldienstes in der Schweiz zu beschäftigen. Wir kommen dieser Aufforderung gerne nach, weil auch bislang der Einsatz und Einbezug des Grundversorgers in die Erstversorgung der medizinischen Notfälle bereits einen wichtigen Stellenwert in unserem Dispositiv haben [1].
Das Thema ist komplex. Die Anforderungen an ein gut funktionierendes und reibungsloses Notfalldienstsystem haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten in der Schweiz stark verändert. Es wird für viele der kantonalen Ärztegesellschaften regional immer schwieriger, eine ausreichende Anzahl dienstpflichtiger und dienstfähiger Ärztinnen und Ärzte zu rekrutieren. Dies hat einerseits mit der veränderten Bereitschaft der regional stark schwindenden Anzahl an Grundversorgern zu tun, während so vieler Tage pro Jahr und während so vieler Stunden pro Tag (und v.a. pro Nacht) Notfall-Pikettdienst zu leisten.
Andererseits haben sich unsere Strukturen nicht oder zu wenig an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Das bisherige System ist kaum noch alltagstauglich und kollidiert mit den veränderten Verhaltensweisen der Notfallpatienten, sich bei Auftreten von Symptomen unmittelbar und schnellstmöglich beurteilen und behandeln zu lassen. Wobei «Sym­pto­me» in der subjektiven Wahrnehmung der Patienten oft keine Diskriminierung zwischen Unbehagen, Befindlichkeitsstörung und Krankheit ermöglichen.
Die Politik präsentiert sich ungewohnt zurückhaltend. Obwohl die Kantone die oberste Verantwortung für die flächendeckende Versorgungssicherheit tragen, werden trotz des sich abzeichnenden Ärztemangels in der Grund- und Notfallversorgung keine Zukunftskonzepte entwickelt. Was vielleicht auch darin begründet ist, dass die kantonalen Ärztegesellschaften mit der Umsetzung dieser permanenten Einsatzbereitschaft beauftragt sind.
Es bestehen zahlreiche regionale Projekte. Mögliche Konzepte sind die Vernetzung von Grundversorgern mit ihrer zuständigen Notfallstation im Regional- oder Zentrumsspital («Permanence»), der hilfreiche Triagierungssupport durch die Telemedizin und die vermehrte Beteiligung privater Leistungsanbieter. Bei allen Modellen muss über die Finanzierung nachgedacht und diskutiert werden. Es geht um kantonale Beteiligungen bei medizinischen Notrufzentralen, Solidaritätsbeiträge und Kostenübernahme durch Patienten. Wir möchten mit Hilfe der involvierten Fachgesellschaften und der SÄZ eine Diskussion initiieren, wie eine zeitgemässe und zukunftsorientierte Notfallversorgung in der Schweiz aus ärztlicher Sicht aussehen soll. Denn wenn wir massgeblich in diesen Service involviert bleiben wollen, dann müssen wir auch sagen, wie er aussehen und wer ihn nachts und am Wochenende anbieten soll. Wenn wir uns tendenziell lieber zurückziehen und den bisher auch politisch und juristisch legitimierten Auftrag zurückgeben wollen, dann können Alternativen deklariert und Aus- und Weiterbildungsprogramme entsprechend angepasst werden.
Prof. Dr. med.
Wolfgang Ummenhofer
Plattform Rettungswesen FMH
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w.ummenhofer[at]unibas.ch