Neues Tollwutimpfschema in der Reisemedizin
Kommentar des Schweizerischen Expertenkomitees für Reisemedizin

Neues Tollwutimpfschema in der Reisemedizin

Aktuell
Ausgabe
2018/32
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03356
Swiss Med Forum. 2018;18(32):626-627

Affiliations
a Departement Medizin, Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut, Basel; b Universität Basel; c Infektiologie, Kantonsspital St. Gallen; d Hôpitaux Universitaires, Genève; e Schweizerische Tollwutzentrale, Institut für Virologie und Immunologie der veterinärmedizinischen Fakultät, Universität Bern; f Universitätsklinik für Infektiologie, Inselspital, Universitätsspital, Bern; g Institut für Epidemiologie und Biostatistik & Prävention, Zentrum für Reisemedizin und Übertragbare Krankheiten, Universität Zürich; h Allgemeine Innere Medizin und Tropenmedizin, private Praxis, Neuenburg; i Servizio Malattie Infettive, Lugano; Policlinique Médicale Universitaire, Lausanne; Service des Maladies Infectieuses, CHUV, Lausanne

Publiziert am 07.08.2018

Ein Kommentar des Schweizerischen Expertenkomitees für Reisemedizin.

Eine präexpositionelle Tollwutimpfung ist für Reisende in endemische Länder generell wünschenswert. Speziell in abgelegenen Gebieten ist eine postexposi­tionelle Tollwutimpfung selten zeitnah und oft nur unter sehr schwierigen Umständen oder gar nicht erhältlich. Insbesondere ist die bei ungeimpften Personen notwendige zusätzliche passive Immunisierung mit Tollwutantikörpern (Immunglobulinen) oft nicht vorhanden.
Viele Reisende zögern aus finanziellen Gründen, eine präexpositionelle Impfung mit den bisher empfohlenen drei Impfdosen im klassischen Schema (Tag 0, 7 und 21–28, [1]) oder dem 2016 publizierten Schnellschema (Tag 0, 3 und 7, [2]) machen zu lassen.
Ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) neu empfohlenes 2-Dosen-Impfschema könnte dies nun ändern [3, 4]. Die reduzierte Impfdosenzahl und der damit um einen Drittel günstigere Preis dürften zu einer besseren Akzeptanz der präexpositionellen Tollwut­impfung bei Reisenden beitragen und somit das aufwendige postexpositionelle Management im Falle eines möglichen oder gesicherten Tollwutkontakts während der Reise für viele Reisende zukünftig erleichtern.

Neue präexpositionelle Tollwut­impfempfehlung

Die WHO hat im April 2018 ihren dritten Bericht der Expertengruppe zur Tollwut veröffentlicht [3] und diesen in einem Positionspapier konkretisiert [4]. Neben vielen wichtigen ­Informationen zu dieser nahezu 100% tödlichen Krankheit bei Mensch und Tier enthalten die beiden Dokumente alte und neue Empfehlungen zur Impfung beim Menschen.
Während das postexpositionelle Management nach einem möglichen oder erfolgten Tollwutkontakt keine Änderungen erfahren hat, empfehlen die WHO-Experten bei der präexpositionellen Impfung neu ein verkürztes Impfschema mit zwei intramuskulär oder je zwei intradermal applizierten Grundimpfungen an den Tagen 0 und 7 für Personen, die in speziellen Risikoendemiegebieten leben, für professionell Exponierte (z.B. Laborpersonal, das mit Tollwutviren arbeitet, Fledermausforscher) sowie auch für Reisende. Damit will der Expertenrat der WHO sowohl den Zugang wie die Durchimpfungsrate exponierter Menschen verbessern und gleichzeitig, speziell mit der in­tradermalen Applikation, Impfdosen und Kosten sparen.
Die essentiell wichtige immunologische Grundstimulation (englisch «priming») mit zwei Dosen an den Tagen 0 und 7 wird im Bericht gut dokumentiert. Daten einer holländischen Studie [5] sowie einer noch nicht veröffentlichten Studie bei holländischen respektive belgischen [2] Soldaten belegen eine sehr gute Immun­antwort und eine sichere Auffrischungsmöglichkeit («Boosterung») bis zu drei Jahre nach Grundimmunisierung [5]. Dabei ist zu beachten, dass für die Reifung der notwendigen immunologischen Gedächtniszellen zur Sicherung einer langjährigen, wenn möglich sogar lebenslangen, Boosterungs-Fähigkeit durch das Immunsystem eine weitere Impfdosis relevant ist [6]. Nach ­einem Intervall von einem Jahr wird dafür eine zusätzliche Dosis appliziert, die eine Boosterungs-Fähigkeit von mindestens zehn Jahren garantiert [7]. Weiterhin ist es wichtig, dass die Grundimpfung bei einem mög­lichen oder gesicherten Tollwutkontakt jederzeit und sicher mit den bereits bisher empfohlenen zwei Dosen an den Tagen 0 und 3 aufgefrischt werden kann (postexpositionelle Prophylaxe).
Das Schweizerische Expertenkomitee für Reisemedizin (EKRM) empfiehlt für Reisende unter Berücksichtigung (a) der Evidenz, (b) der Akzeptanz durch die Reisenden sowie (c) der pragmatischen Durchführung folgendes Vorgehen (Tab. 1), das vom WHO-Bericht in ­einigen Punkten leicht abweicht:
Tabelle 1: Praktisches Vorgehen präexpositionelle Tollwutimpfung.
Die intramuskuläre Applikation der Impfungen wird aus technischen Gründen 
der intradermalen Applikation vorgezogen.
Zwei intramuskulär applizierte, präexpositionelle Impfungen an den Tagen 0 und 7–28 als Grundimmunisierung («off label use»). Da bei einem grösseren Intervall zwischen den Impfdosen mit einer besseren und länger andauernden Immunantwort zu rechnen ist, ist es von Vorteil, die zweite Dosis bis zum Tag 28 zu geben, falls es das Abreise­datum zulässt [7].
Explizit wird das Standardimpfschema mit 3 Dosen an den Tagen 0, 7, 21–28 bei spe­ziellen Risikogruppen (z.B. Personen mit kompromittierter Immunfunktion) empfohlen. Falls bei diesen Personen nur 2 Dosen gegeben werden, muss der Antikörperwert 14 Tage nach der 2. Dosis bestimmt werden.
Nach einem Jahr oder später, d.h. wenn vor einer weiteren Reise in ein Gebiet mit schlechter Gesundheitsversorgung erforderlich, wird eine einmalige Auffrischimpfung (Booster) empfohlen, die in den WHO-Empfehlungen nicht vorgesehen ist. In Ausnahmefällen kann diese 3. Impfung bereits 4 Monate nach der Grundimpfung gegeben werden.
Postexpositionelle Massnahmen bei präexpositionell geimpften Personen: Bei einem möglichen oder sicheren Tollwutkontakt sind die Reisenden auf die Notwendigkeit der sofort zu erfolgenden Reinigung mit Wasser und Seife sowie Desinfektion der Wunde hinzuweisen. Bei Bissverletzung ist die Indikation zur Antibiotikagabe gegeben und die Notwendigkeit einer Tetanus-Boosterimpfung zu evaluieren. Anschliessend müssen in jedem Fall möglichst rasch zwei Tollwutimpfdosen (Tage 0 und 3) appliziert werden. Dies sollte mangels anderer Erkenntnisse auch bereits kurz nach der Grundimpfung erfolgen. Die Wirksamkeit dieser Massnahme muss 7 Tage nach der zweiten Dosis 
(oder spätestens nach Rückkehr des Reisenden in die Schweiz) mittels Antikörpertiterbestimmung bestätigt werden (in der Schweiz kann die Testung durch die Schweizerische Tollwutzentrale am Institut für Virologie und Immunologie der veterinärmedizinischen Fakultät in Bern durchgeführt werden: http://www.ivi.unibe.ch/dienstleistungen/diagnostik/schweizerische_tollwutzentrale/index_ger.html).
Grundsätzlich sollen in der reisemedizinischen Praxis folgende Gruppen geimpft werden:
– Personen, speziell Langzeitaufenthalter (≥3 Monate), die in abgelegenen endemischen Gebieten leben oder reisen, wo eine rasche medizinische Versorgung inklusive passiver und aktiver Tollwutimpfung nicht garantiert ist;
– Personen mit speziellem Risikoverhalten wie Fortbewegung auf zwei Rädern, «Trampen», Joggen, Arbeit mit Tieren;
– Kinder <8 Jahren sollen präferentiell geimpft werden, da Tierkontakte oft inapperzept bleiben.
Dieser Kommentar ersetzt nicht die Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) [1], welche derzeit überarbeitet und voraussichtlich 2019 publiziert werden. Da das neue Impfschema (Tage 0, 7) noch nicht in den bestehenden BAG-Empfehlungen enthalten ist, muss es gegenüber den Reisenden als «off label use» deklariert und entsprechend dokumentiert werden. Von weiteren Anpassungen aufgrund neuer Erkenntnisse in diesem dynamischen Feld der Vakzinologie ist auszugehen.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persön­lichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag ­deklariert.
Prof. em. Dr. med. ­
Christoph Hatz
Swiss Tropical and Public Health Institute
Socinstrasse 57
CH-4002 Basel
christoph.hatz[at]swisstph.ch
1 BAG. Prä- und post-expositionelle Tollwutprophylaxe beim Menschen, Bundesamt für Gesundheit, Arbeitsgruppe Tollwut, Schweizerische Kommission für Impffragen, Juli 2004.
2 Cramer JP, Jelinek T, Paulke-Korinek M, Reisinger EC, Dieckmann S, Alberer M, et al. One-year immunogenicity kinetics and safety of a purified chick embryo cell rabies vaccine and an inactivated Vero cell-derived Japanese encephalitis vaccine administered concomitantly according to a new, 1-week, accelerated primary series. J Travel Med. 2016;23(3):pii:taw011.
3 WHO Expert Consultation on Rabies. WHO Technical Report Series 1012, April 2018.
4 WHO. Rabies vaccines: WHO position paper – WER No 16, 20 April 2018.
5 De Pijper CA, Boersma J, Terryn S, Van Gucht S, Goorhuis A, Grobusch MP, Stijnis C. Rabies antibody response after two intradermal perexposure prophylaxis immunizations: An observational cohort study. Trav Med and Inf Dis. 2018;22:36–9.
6 Siegrist CA. Vaccine Immunology, Chapter 2, in: Plotkin’s Vaccines, 7th edition 2018.
7 Strady C Andreoletti L, Baumard S, Servettaz A, Jaussaud R, Strady A. Immunogenicity and booster efficacy of pre-exposure rabies vaccination. Trans R Soc Trop Med Hyg. 2009;103(11):1159–64.