Fehldiagnose Depression bei Prionenerkrankung
Eine diagnostische Herausforderung

Fehldiagnose Depression bei Prionenerkrankung

Fallberichte
Ausgabe
2017/50
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03157
Schweiz Med Forum 2017;17(50):1137-1140

Affiliations
Klinik Meissenberg AG, Zug

Publiziert am 12.12.2017

Hintergrund

Die Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (CJD) ist eine seltene, jedoch aufgrund ihrer drastischen Konsequenzen und des dramatischen Verlaufs hochrelevante Erkrankung. Mit einer berichteten Inzidenz von ca. 1–1,5 Neuerkrankungen pro Million Einwohner im Jahr (gemäss S1-Leitlinie «Creutzfeld-Jakob-Erkrankung 2012» der Deutschen Gesellschaft für Neurologie) und einem Verlauf, welcher in Dauer und Symptomkonstellation variabel sein kann, zählt sie zu den seltenen und schwierigen Differenzialdiagnosen aus dem neuropsychiatrischen Erkrankungsspektrum.
Unter CJD werden Erkrankungen zusammengefasst, bei denen die normale Faltung von Proteinen gestört ist. Hierbei ist von den unterschiedlichen Varianten die sporadische am häufigsten zu finden. Weiterhin gibt es angeborene sowie iatrogen durch Nutzung von infektiösem Material verursachte Prionenerkran­kungen [1, 2]. Ursache aller CJD ist die falsche Verstoffwechselung des «prion-related proteine» (PRP), unter anderem hervorgerufen durch Mutationen des bei Menschen auf Chromosom 20 gelegenen «prion-related» Nucleo-Peptides (PRNP). Dies führt zu einer Akkumulation der Prionen in den Zellen und zu einer Funktionseinbusse bis hin zur Apoptose. Während es Bereiche des Gehirns gibt, in denen die Prionen von der Mikroglia ohne Entzündungsreaktion toleriert werden, kommt es in den degenerierenden Bereichen zu einer Entzündungsreaktion und einer spongiformen Enzephalopathie, die innerhalb von Monaten mit dem Tod endet.
Die betroffenen Patienten werden häufig anfangs fehldiagnostiziert und -therapiert, da die CJD während des Anfangsstadiums im klinischen Erscheinungsbild Ähnlichkeiten zu anderen neurologischen, otorhino-laryngologischen, aber auch psychiatrischen Erkrankungen aufweist [3, 4]. In der Diagnostik werden deswegen neben dem klinischen Erscheinungsbild der Nachweis von Protein 14-3-3 im Liquor sowie charakteristische Zeichen im Elektroenzephalogramm (EEG) und in der Magnetresonanztomographie (MRT) zur Verifizierung des Verdachts hinzugezogen. Dabei kommt der sogenannten FLAIR-MRT («fluid attenuated inversion recovery MRT»), die zwischen gewebsgebundener und freier Flüssigkeit differenziert, die höchste Sensitivität zu.

Fallbericht

Anamnese und Status

Die 54-jährige armenisch-türkisch-stämmige, in die Schweiz eingebürgerte Hausfrau wurde uns durch den Hausarzt mit der Bitte um die Therapie einer mittelschweren depressiven Episode zugewiesen. Diese bestünde seit einem Heimaturlaub in der Türkei ca. eineinhalb Monate zuvor, im Rahmen dessen auch familiäre Stressoren stark präsent gewesen seien.
Seitdem habe die Patientin über wiederkehrende innere Anspannung, Kopfschmerzen, anfallsweise Schwächegefühle sowie Parästhesien perioral und an Händen und Füssen geklagt.
Aufgrund der Symptomatik erfolgte mehrmals die Vorstellung der Patientin beim Hausarzt, in einem somatischen Notfallambulatorium sowie bei einem ORL-Arzt. Mit Ausnahme von moderaten akuten Entzündungszeichen im Rahmen einer unabhängig von dieser unspezifischen Symptomatik diagnostizierten Otitis media konnten keine somatischen Pathologien gefunden werden.
Einen Monat vor dem Eintritt wurde eine MRT der Hirnregion angefertigt, die teilweise leicht erweiterte Perivaskulärräume in den Stammganglien beidseits und im Bereich des Hirnstammes sowie vereinzelt winzige signalangehobene Läsionen subkortikal zeigte. Neben einem zurückliegenden zervikalen Schmerzsyndrom und Status nach einer kompletten Hysterektomie war die Anamnese der Patientin unauffällig.
Der Ehemann und die zwei erwachsenen Kinder berichteten über eine Wesensveränderung, die zwei Wochen zuvor bereits zu einer Hospitalisation in einer anderen psychiatrischen Klinik geführt habe. Diese sei jedoch bereits nach einem Tag von Seiten der Patientin abgebrochen worden. Nach dem Aufenthalt habe sie Ängste geäussert und Panikattacken gehabt. Die Angehörigen mutmassten, dass die Patientin auf der psychi­atrischen Akutstation eventuell ein traumatisches Erlebnis gehabt hätte. Seither habe die Patientin rund um die Uhr von der Familie gepflegt werden müssen. Daher wurde bei Eintritt von den Angehörigen eine posttraumatische Belastungsstörung als weitere Dia­gnose ins Feld geführt.
Pharmakotherapeutisch hatte die Patientin vom Hausarzt vor Eintritt Lorazepam als Reservemedikation sowie ein Johanniskrautpräparat verordnet bekommen.

Befunde

Bei Eintritt war die Kooperationsfähigkeit der Patientin krankheitsbedingt erschwert, so dass lediglich eine unvollständige Befunderhebung möglich war. Eine formale Prüfung der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses gelang nicht, auch liessen sich etwaige Ängste oder Zwangshandlungen anamnestisch nicht erfassen. Im Kontakt mit der Patientin fiel bei eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit eine Parathymie mit einer generellen Verlangsamung auf. Die Orientierung war nur in zwei Modalitäten gegeben (autopsychisch und situativ). Eine fundierte Anamnese im Hinblick auf Wahngedanken, Halluzinationen, depressive Symptome oder Ich-Störungen gelang ebenfalls nicht.
Das Vorliegen depressiver Symptome beziehungsweise einer depressiven Episode konnte aufgrund der Eingangsuntersuchung nicht bestätigt werden.
Bei der internistischen und neurologischen Untersuchung war die Patientin nur bedingt kooperativ. In der neurologischen Untersuchung fiel eine Okulomotorikstörung auf mit verlangsamten horizontalen Sakkaden, einer Konvergenzschwäche und einer vertikalen Blickparese.
Muskelkraft und -tonus waren seitengleich vermindert, eine Absinktendenz der Arme bei Vorhalte­versuch war zu beobachten. Es fand sich eine sym­metrische Dysmetrie der oberen Extremitäten, bei allgemeiner Schwäche und schlaffem Muskeltonus konnten keine weiteren lateralisierenden Befunde festgestellt werden. Das Gangbild war breitbasig, un­sicher, schwankend. Romberg- und Unterberger-Versuch waren nicht suffizient durchführ- und bewertbar. Es zeigten sich keine Pyramidenbahnzeichen (Oppenheim, Babinski).

Diagnose und klinischer Verlauf

Aufgrund der weiteren, rapiden Verschlechterung während des stationären Aufenthaltes in der Klinik Meis­senberg wurde die Patientin in der Neurologie des örtlichen Kantonsspitals mit Verdacht auf eine neurodegenerative Erkrankung vorgestellt. Zwischenzeitlich hatte die Patientin immer wieder mutistische Phasen, war im Stationsalltag intermittierend somnolent oder soporös aufgefunden worden, zeigte sich nicht erreichbar und konnte auch nicht mehr ihre Aktivitäten des täglichen Lebens selbständig verrichten. Eigenstän­diges Gehen war binnen weniger Tage komplett unmöglich geworden, die Patientin war apathisch und auch nicht mehr suffizient in der Lage, zu essen und zu schlucken.
In der Neurologie wurde im Rahmen eines Aufenthaltes auf der dortigen Intensivstation die weitere Dia­gnostik durchgeführt. Hier fanden sich in der MRT ­Hyperintensitäten periventrikulär, im Caput nuclei caudati und im Putamen links (Abb. 1).
Abbildung 1: Magnetresonanztomographie der Patientin kurz nach Aufnahme in der Klinik Meissenberg (Region: Hirn; FLAIR(«fluid attenuated inverse recovery»)-gewichtete Sequenz). Pfeile: linksseitige periventrikuläre ­Hyperintensitäten.
Im EEG liessen sich mittelschwere Allgemeinveränderungen nachweisen. Intermittierend zeigte sich ein schwerer Herdbefund fronto-zentro-parietal rechts, teilweise beidseits. Wiederholt kam es zu Einlagerungen triphasischer Wellen mit einer Frequenz zwischen 1–1,5/s betont fronto-zentral als auch generalisiert mit Betonung über der rechten Hemisphäre. Es zeigte sich keine sichere epilepsietypische Aktivität (Abb. 2).
Abbildung 2: EEG der Patientin mit triphasischen Wellen.
Es erfolgte noch eine Lumbalpunktion, in der sich zunächst keine Zellen und keine erhöhte Proteinkonzen­tration zeigten. Die Liquorantikörper (IgM, IgA, IgG) waren normwertig, die Serumelektrophorese ebenfalls.
Anschliessend wurde die Patientin zur weiteren Behandlung in ein anderes Spital verlegt. Die Eintrittsuntersuchung dort ergab eine Blickdeviation nach links, sakkadierte Augenfolgebewegungen und diverse Myoklonien. Die Patientin konnte nicht mehr sprechen oder Aufforderungen nachkommen. Ein erneutes EEG wurde angefertigt, dort fanden sich weiterhin triphasische Wellen. Nach dem Nachweis von Protein 14-3-3 aus der vor der Verlegung entnommenen Liquorprobe erfolgte die endgültige Diagnosestellung CJD. Die mittlerweile komplett bettlägerige Patientin verweigerte Essen und Trinken und war stark verwirrt.
Die Patientin verstarb schliesslich 8,5 Monate nach dem Auftreten der ersten Symptome.

Diskussion

Neurodegenerative Erkrankungen sind in ihrem Symptombild vielgestaltig und stellen häufig eine diagnostische Herausforderung dar. Wegen auftretender psychischer Symptome ist mitunter eine Einordnung allein vom klinischen Bild her schwierig und führt zu Verwechslungen mit psychiatrischen Krankheitsbildern wie Depressionen, Psychosen oder posttraumatischen Belastungsstörungen [5].
Der Verlauf bei sporadischer CJD dauert zwischen vier Monaten und etwas mehr als drei Jahren, die Inzidenz in der Schweiz ist vom Bundesamt für Gesundheit mit 0,17/100 000 Einwohner in 2016 angegeben.
Klinisch präsentiert sich ein Bild mit demenziellen Symptomen und frühen neurologischen Ausfällen. Die diagnostischen Kriterien [6] beschreiben ein wahrscheinliches Vorliegen einer CJD bei Vorliegen einer rapid progressiven Demenz. Zusätzlich müssen klinisch mindestens zwei der vier folgenden Symptome vorliegen: Myoklonus, visuelle oder zerebelläre Ausfälle, pyramidale oder extrapyramidale Ausfälle, akinetischer Mutismus. Ausserdem muss mindestens einer der folgenden diagnostischen Befunde vorhanden sein: typisches EEG («periodic sharp wave complexes») unabhängig von der Krankheitsdauer, ein positives Ergebnis im Liquor auf Protein bei Patientinnen und Patienten mit einer Krankheitsdauer von weniger als zwei Jahren sowie eine MRT mit abnormer Darstellung des Nucleus caudatus und/oder Putamen in einer diffusionsgewichteten Darstellung (DWI) oder FLAIR-Darstellung. Als gesichert gilt die CJD bei Vorliegen einer neuropathologischen Aufarbeitung. Bei immunozytochemischem Nachweis und/oder Bestätigung via Western-Blot für das Vorliegen von «protease-resistant» PrP und/oder der Anwesenheit von «scrapie-associated» Fibrillen.
Die üblicherweise im hausärztlichen oder psychiatrischen Kontext angewandte Labordiagnostik, die Leber-, Nieren- und Schilddrüsenwerte sowie ein kleines Blutbild und eine Blutsenkungsgeschwindigkeit beziehungsweise Entzündungsparameter (C-reaktives Protein) einschliesst, bietet bei ausschliesslichem Vorliegen einer CJD keine Auffälligkeiten.
Am geschilderten Fall kann diese Problematik sehr gut aufgezeigt werden. Unsere Patientin hatte im Vorfeld mehrere Konsultationen bei Fachärzten unterschiedlicher Disziplinen, ohne dass eine neurodegenerative Erkrankung als Option bedacht worden wäre. Der rapide Krankheitsverlauf mit initial stark fluktuierendem und wechselndem Symptombild sowie die von der Patientin praktisch nicht zu erhebende Anamnese und die Interpretationen der Angehörigen (Vermutung eines Traumas während der ersten stationären psychia­trischen Behandlung) erschwerten die Einordnung der Erkrankung zusätzlich.
Die erste MRT zeigte nur geringfügige und unspezifische Veränderungen im Gehirn. In der zweiten, von uns veranlassten MRT waren bereits einen Monat später deutlichere Veränderungen nachweisbar.
Unser Fall belegt eindrücklich die Unerlässlichkeit einer umfassenden und akkuraten körperlichen Aufnahmeuntersuchung, auch bei Einweisung unter psychia­trischer Diagnose. Die neurologische Untersuchung erbrachte deutliche Hinweise auf eine neurodegenerative Erkrankung. Aufgrund der festgestellten Blickparese und Gangstörung vermuteten wir differentialdia­gnostisch, dass eine Basalganglienerkrankung wie zum Beispiel die progressive supranukleäre Parese vorliegen könnte. Zur Diagnosesicherung ist eine umfängliche und teilweise invasive Diagnostik mittels MRT, Liquoranalyse und EEG notwendig. Die rapide Abnahme der kognitiven und motorischen Fähigkeiten bis zum Exitus ist typisch für das Krankheitsbild der sporadischen CJD und zeigte sich auch bei unserer Patientin.

Das Wichtigste für die Praxis

• Prionenerkrankungen sind seltene, stark einschränkende und rasch zum Tode führende Erkrankungen
• In ihrem kurzen Krankheitsverlauf können fokal neurologische und psychopathologische Symptome auftreten
• Das Auftreten von psychopathologischen Beschwerden kann die Dia­gnosestellung verzögern
• Prionenerkrankungen werden daher häufig initial fehldiagnostiziert
• MRT, Liquorentnahme/-untersuchung und EEG werden zur Diagnose­sicherung genutzt
Wir danken unseren Kollegen der Neurologie im Zuger Kantonsspital, insbesondere der leitenden Ärztin, Frau Dr. med. Annett Ramseier, für die Durchführung und Beurteilng von MRT und EEG.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Pascal Heinrich Maria Burger, MME
Klinik Meissenberg AG
Meisenbergstrasse 17
CH-6301 Zug
pascal.burger[at]meissenberg.ch
1 Knight R, Brazier M, Collins SJ. Human prion diseases: cause, clinical and diagnostic aspects. Contrib Microbiol. 2004;11:72–97.
2 Ritchie DL, Barria MA, Peden AH, Yull HM, Kirkpatrick J, Adlard P, Head MW, et al. UK Iatrogenic Creutzfeldt-Jakob disease: investigating human prion transmission across genotypic barriers using human tissue-based and molecular approaches. Acta Neuropathol. 2017;133(4):579–95. doi:10.1007/s00401-016-1638-x.
3 Dirzius E, Balnyte R, Steibliene V, Gleizniene R, Gudinaviciene I, Radziunas A, Petrikonis K. Sporadic Creutzfeldt-Jakob disease with unusual initial presentation as posterior reversible encephalopathy syndrome: a case report. BMC Neurol. 2016;16(1):234. doi:10.1186/s12883-016-0751-8.
4 Pauri F, Amabile G, Fattapposta F, Pierallini A, Bianco F. Sporadic Creutzfeldt-Jakob disease without dementia at onset: clinical features, laboratory tests and sequential diffusion MRI (in an autopsy-proven case). Neurol Sci. 2004;25(4):234–7. doi:10.1007/s10072-004-0328-y.
5 Alibhai J, Blanco RA, Barria MA, Piccardo P, Caughey B, Perry VH, Manson JC, et al. (2016). Distribution of Misfolded Prion Protein Seeding Activity Alone Does Not Predict Regions of Neurodege­neration. PLoS Biol. 2016;14(11):e1002579. doi:10.1371/journal.pbio.1002579.
6 Zerr, I, Kallenberg K, Summers DM, et al. Brain. 2009;132:2659–68.