Individualisierte Behandlung bei lokalisiertem Prostatakarzinom
Ein Überblick über die aktuelle Praxis

Individualisierte Behandlung bei lokalisiertem Prostatakarzinom

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2017/33
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03042
Schweiz Med Forum 2017;17(33):686-692

Affiliations
Centre hospitalier universitaire vaudois, Lausanne
a Service d’urologie; b Service de radio-oncologie; c Service d’oncologie

Publiziert am 16.08.2017

Die Behandlung von Prostatakrebs ist aufgrund eines unsicheren Nutzen-Risiko-Verhältnisses der klassischen Behandlungen der lokalisierten Erkrankung nach wie vor heftig umstritten. Auf diesen Umstand haben die Fachleute mit der Entwicklung besserer Diagnosetools und Therapiemöglichkeiten reagiert, wodurch heute eine an das individuelle Risiko angepasste Behandlung möglich ist. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die aktuelle Praxis verschaffen, um den behandelnden Arzt in die Lage zu versetzen, einen Patienten mit der Diagnose Prostatakrebs zu begleiten und dessen Fragen beantworten zu können.

Einleitung

In einer Population betagter Männer wie in der Schweiz ist die Inzidenz des Prostatakarzinoms (PCa) besonders hoch. Ohne Screening weisen Männer ab 50 Jahren ein geschätztes Risiko von über 40% für ein subklinisches Karzinom, ein Risiko von 8–10% für eine symptomatische Erkrankung und eines von 3% für einen krebsbedingten Tod auf. Diese Zahlen müssen jedoch relativiert werden, da jeder zweite Mann ab 70  Jahren, der an Krebs stirbt, dies aufgrund eines PCa tut.
Während der letzten dreissig Jahre wurde die frühzeitige Entdeckung der Erkrankung durch ein Screening vereinfacht, bei dem das prostataspezifische Antigen (PSA) bestimmt wird. Ein systematisches PSA-Screening der männlichen Gesamtbevölkerung ist jedoch aufgrund des Risikos der Überdiagnostik und -behandlung von Patienten mit indolentem Krebs nach wie vor umstritten. In der Vergangenheit war die Behandlungsentscheidung für eine radikale Prostatektomie, verschiedene Strahlentherapiearten oder gar keine Behandlung, mit Ausnahme klinisch vollkommen eindeutiger Situationen, häufig subjektiv. Heute kann dank unseres besseren Verständnisses des Verlaufs­profils der Erkrankung, neuer Diagnostiktools und therapeutischer Möglichkeiten jeder Patient mit PCa nach genauen Kriterien, die sich am Schweregrad seines Karzinoms, an seinen Komorbiditäten und Erwartungen an die Lebensqualität (funktionelle Erhaltung der Potenz usw.) orientieren, individuell versorgt werden. Des Weiteren stehen inzwischen neben den klassischen Therapien wie der radikalen Prostatektomie und der externen Strahlentherapie weitere therapeutische Möglichkeiten wie die aktive Überwachung und fokale Behandlungen zur Verfügung. Angesichts der Komplexität dieser heterogenen Erkrankung sollte die optimale Versorgung eines Patienten mit der Diagnose PCa in einem anerkannten Prostatakarzinomzentrum unter Hinzuzug eines zertifizierten interdisziplinären Teams, bestehend aus Fachärzten verschiedener medizinischer Fachbereiche sowie Gesundheitsfachleuten (Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Sexualtherapeuten), erörtert werden, wobei die Begleitung des Patienten durch letztere entscheidend ist. In den Fachzentren wird jeder Patient vor der Behandlung und im Rezidivfall im Rahmen eines «Tumorboards» vorgestellt, an dem der behandelnde Arzt teilnehmen und so von der gebündelten Erfahrung aller anwesenden Fachleute profitieren kann.

Die moderne Risikostratifizierung

Die Entwicklung hin zu einer individualisierten Versorgung wurde hauptsächlich durch die Einführung eines präzisen bildgebenden Testverfahrens möglich. Dank Magnetresonanztomographie (MRT) konnten der Risikostratifizierung des PCa zwei weitere, bis dahin unbekannte Variablen hinzugefügt werden: die Karzinomausdehnung in der Prostata und die Tumorlokalisation. Die Prostata-MRT ist für die Festlegung des diagnostischen Vorgehens von grossem Nutzen. In den letzten Jahren hat sich ihre Indikation mit dem Nachweis eines guten prädiktiven Werts bezüglich der anatomisch-pathologischen Resultate in Fällen radikaler Prostatektomie erweitert. Zwei grosse, vor Kurzem veröffentlichte Studien haben die diagnostische Performance der Prostata-MRT mit Evidenzklasse 1 bestätigt. Die multizentrische PROMIS-Studie, welche vom «Medical Research Council» in Grossbritannien gefördert wurde, hat bei 576 Patienten mit klinischem und/oder biologischem Verdacht auf ein lokalisiertes Prostatakarzinom Standardbiopsien und die MRT mit einem zugelassenen Referenztest (vollständige histologische Kartographierung der Prostata) verglichen. Daraus ging hervor, dass die MRT eine effektive Selektion der Patienten, bei denen eine Biopsie sinnvoll ist, ermöglicht und dadurch bis zu 27% unnützer Biopsien vermieden werden könnten [1]. Eine andere grosse in den «Na­tional Institutes of Health» in den USA durchgeführte Studie hat die Entdeckung eines signifikanten Karzinoms durch Standardbiopsie mit einer gezielten MRT-Ultraschall-Fusionsbiopsie verglichen. Bei dieser Technik wird die hohe Detektionsrate der MRT genutzt, indem die MRT-Bilder direkt in die transrektale Ultraschalluntersuchung eingespielt werden. Die MRT-Ultraschall-Fusionsbiopsie ist das bildgebende Verfahren erster Wahl zur Steuerung einer Prostatabiopsie (Abb. 1). Die Studie hat eindeutig gezeigt, dass gezielte Biopsien bei Prostatakrebs von diagnostischem Nutzen sind, das heisst, dass sie im Vergleich zu Standardbiopsien weniger indolente und mehr signifikante Karzinome aufspüren [2].
Abbildung 1: A) Darstellung der Läsion auf einer axialen, T2-gewichteten MRT-Aufnahme der Prostata (hypointenses Signal des Randbereichs durch Pfeile gekennzeichnet). B) Gleiche Schnittebene mit eingeschränkter Diffusionssequenz. C) Durch die Fusion von Ultraschall- und MRT-Aufnahmen kann der Operateur Biopsien aus dem radiologischen Zielgebiet (blau) ­entnehmen. Bildquelle: Eigen Inc., Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
Diese Resultate stammen jedoch aus Referenzzentren mit validierten Akquisitionstechniken, in denen die Aufnahmen von auf diesem Gebiet sehr erfahrenen Radiologen ausgewertet werden. Daher dürfen die Ergebnisse nicht unterschiedslos verallgemeinert werden. Denn aus der Literatur geht eindeutig eine starke Underperformance der Qualität der Aufnahmen und ihrer Auswertung in fachlich weniger versierten Zen­tren hervor, wodurch die externe Validität dieser wissenschaftlichen Daten infrage gestellt wird. Andererseits sollten die in der Vergangenheit gemachten Fehler einer unkontrollierten Verbreitung auf bestimmte Patientensubgruppen beschränkter diagnostischer Tests nicht wiederholt werden. Aus diesem Grund wird empfohlen, dass eine Prostata-MRT ausschliesslich von einem Urologen nach einer sorgfältigen klinischen Evaluation verordnet werden und die Untersuchung in einem Fachzentrum erfolgen sollte, in dem die Untersuchungsqualität überprüft wird.
Alles in allem hatte der MRT-Einsatz in der Diagnostik des lokalisierten PCa vor allem zwei revolutionäre Entwicklungen zur Folge:
– Erstens verfügen die Therapeuten heute über ein äusserst zuverlässiges Tool, um das tatsächliche Erkrankungsrisiko vorherzusagen, was wahrscheinlich zu einer Verringerung von Überbehandlungen führt.
– Zweitens sind die Lokalisation und die Karzinomausdehnung in der Prostata zu neuen Variablen geworden, mithilfe derer die Therapiestrategie individualisiert werden kann.
Bei der Biopsieauswertung soll der histologische ­Gleason-Score wahrscheinlich durch einen neuen von der «International Society of Urological Pathology» (ISUP) entwickelten Score ersetzt werden. Das Ziel der neuen Klassifikation besteht darin, das Verständnis des Risikograds ihrer Krebserkrankung für die Pa­tienten zu vereinfachen. Derzeit umfasst der Gleason-Score zehn Kategorien, die anhand der zwei häufigsten histologischen Grade ermittelt werden. Der neue ISUP-Score umfasst fünf Gruppen von Grad 1 bis 5. Dafür wurden einige Gleason-Scores zusammengefasst. So beinhaltet zum Beispiel die ISUP-Grad-Gruppe 5 den Gleason-Score 9 und 10. Andere, wie der Gleason-Score 7, wurden unterteilt. Dieser wurde in Grad-Gruppe 2 (3+4=7) respektive 3 (4+3=7) umgewandelt, um die Biologie des PCa besser zu verdeutlichen.
Seit den 2000er Jahren hat die Suche nach neuen Biomarkern für das PCa rasant zugenommen. Verschiedene Serum- und Gentests wurden als diagnostische, prognostische und/oder prädiktive Marker untersucht. Zu Informationszwecken sind hier Prolaris® und Decipher® zu nennen, die genetische Veränderungen im Zusammenhang mit der PCa-Biologie analysieren und von potentiellem Nutzen zur Risikostratifizierung und Vorhersage des Risikos der Metastasenprogression sind. Dennoch wird bis dato in der Schweiz keiner dieser Tests systematisch von den Krankenversicherungen erstattet. Derzeit werden grossangelegte fundierte Studien durchgeführt, den Nutzen ersterer nachweisen sollen.

Die aktive Überwachung

Die aktive Überwachung ist eine Therapieoption, die zum Ziel hat, die Verordnung einer lokalen Behandlung bei Patienten mit einem Karzinom mit geringem Progressionsrisiko hinauszuzögern oder zu vermeiden und dabei die individuellen Überlebenschancen aufrechtzuerhalten. Patienten unter aktiver Überwachung werden engmaschig betreut und alle sechs Monate einer klinischen Kontrolluntersuchung sowie ­einer PSA-Bestimmung und in regelmässigen Abständen Prostatabiopsien entsprechend den lokalen Protokollen unterzogen. Darüber hinaus beinhalten die Protokolle zur aktiven Überwachung eine Prostata-MRT, um die Erkrankung langfristig zu überwachen und die Entstehung neuer kanzeröser Läsionen erkennen zu können. Die Einschlusskriterien für diese Behandlungsform unterscheiden sich zwischen den einzelnen Zentren leicht, die Zielpopulation ist jedoch klar festgelegt und definiert als Patienten mit nicht palpierbarem, kleinem, lokalisiertem PCa und im Prinzip einem Gleason-Score von höchstens 3+3=6.
Der Erfolg dieses Ansatzes beruht auf einer guten Aufklärung des Patienten, um dessen Compliance mit der Behandlung zu erreichen und seine Ängste im Zusammenhang mit der «Krebsdiagnose» zu verringern, welche den Patienten zur sofortigen Entscheidung für eine kurative Behandlung verleiten könnte. Ross et al. schätzen, dass dieses Risiko in 10–18% der Fälle besteht, weshalb die Begleitung der Patienten für die Akzeptanz der oben genannten Behandlungsstrategie entscheidend zu sein scheint [3].
Die Resultate der aktiven Überwachung in Langzeitkohortenstudien und in einer vor Kurzem durchgeführten randomisierten Studie bestätigen die Validität dieser Methode. Eine kanadische Studie an 993 Männern mit bis zu 20-jährigem Follow-up hat gezeigt, dass lediglich 2,8% der Patienten Metastasen entwickelten und 1,5% nach 15 Jahren an der Erkrankung verstorben waren [4]. Eine andere, amerikanische Studie an 1298 Patienten mit bis zu 18-jährigem Follow-up hat noch niedrigere Raten mit 0,1% Verstorbenen und 0,6% Pa­tienten mit Metastasen nach 15 Jahren gezeigt [5]. Zirka 30% der Patienten unter aktiver Überwachung profitieren jedoch während der Beobachtung von einer aktiven Behandlung, wodurch das Progressionsrisiko in einem angemessenen Rahmen gehalten wird. Die aktuelle englische randomisierte Multizenterstudie PROTECT, die 2016 veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass das 10-Jahres-Überleben bei Patienten unter aktiver Überwachung und aktiver Behandlung (Operation oder Strahlentherapie) identisch war [6]. Die funktionellen Resultate der PROTECT-Studie, die zur gleichen Zeit veröffentlicht wurden, haben die Bedeutung einer individualisierten Medizin in Bezug auf die verschiedenen Therapiearten aufgezeigt, da erstere bei jeder Behandlungsoption variierten. Die Studie wies den Nutzen der aktiven Überwachung bezüglich der Erhaltung von Harnkontinenz und Potenz sowie der Lebensqualität im Vergleich zu den konventionellen PCa-Behandlungen nach [7].
Die oben genannten Resultate stammen aus Stu­dienserien, die vor etwa 10–20 Jahren begonnen wurden. Auch wenn zu erwarten ist, dass sich diese Resultate dank eines besseren Krankheitsverständnisses und der Aufnahme von MRT und gezielten Biopsien in die modernen Überwachungsprotokolle noch mehr verbessern, sind die onkologischen Resultate der aktiven Überwachung aufgrund des natürlichen Verlaufs der Erkrankung ­lediglich durch ein längeres Follow-up (≥15 Jahre) zuverlässig zu ermitteln.

Die fokale Therapie

Es kommt definitiv selten vor, dass ein von einem Tumor befallenes Organ durch eine radikale Ablation behandelt wird, statt die Läsion mit Sicherheitsabstand zu entfernen. Demzufolge ist bei fast allen soliden Karzinomen häufig eine gewebserhaltende Operation möglich. In der urologischen Krebsbehandlung gibt es dafür zahlreiche Beispiele, wie die partielle Nephrektomie bei Nieren- oder die distale Ureterektomie bei Harnleiterkebs sowie bei nichturologischen Krebsarten (Tumor­ektomie bei Brustkrebs, Lungenteilresektion, partielle Hepatektomie usw.).
Beim PCa wurden gewebserhaltende Behandlungen aufgrund des häufigen multifokalen Befalls lange Zeit als ungeeignet angesehen. Nichtsdestotrotz ist heute klar, dass obgleich die Erkrankung bei zirka 60–80% der Patienten multifokal ist, ein Grossteil davon lediglich eine kanzeröse Läsion mit Progressionsrisiko sowie weitere niedriggradige Satellitenläsionen aufweist, die genetisch gesehen von ersterer unabhängig sind. Die fokale Therapie zielt darauf ab, lediglich den Teil der Prostata mit einer signifikanten Läsion zu behandeln, um nach wie vor den Nutzen einer onkologischen Behandlung auszuschöpfen und gleichzeitig den Rest der Prostatadrüse zu verschonen. Auf diese Weise wird die mit einer radikalen Therapie verbundene Morbidität drastisch verringert (Abb. 2).
Abbildung 2: (A) Läsion des Randbereichs in T2-gewichteter (roter Pfeil), (B) Diffusions- (C) und dynamischer Sequenz. (D) Zustand nach Ablation 
der genannten Läsion. In der dynamischen Sequenz erscheint dieser Bereich als vollständig devaskularisiert (grüner Pfeil).
Auf dem Markt sind zahlreiche Energiequellen erhältlich und neue werden untersucht. In diesem Beitrag sollen nur die drei erwähnt werden, zu denen die meisten wissenschaftlichen Daten vorliegen: die Kryoablation, der hochintensive fokussierte Ultraschall (auf Englisch HIFU) und die photodynamische Therapie.
Die Kryoablation ist eine Technik, welche bereits zur Behandlung solider Krebsarten an zahlreichen Organen eingesetzt wird. Dabei wird die Zielläsion über den transperinealen Zugangsweg unter transrektaler Ul­traschallsteuerung durch Kälte zerstört. Der HIFU ist ebenfalls eine thermische Behandlung, bei welcher die Läsion mechanisch und durch Erwärmung zerstört wird. Der Eingriff erfolgt ohne Inzision durch die Anwendung hochintensiver, über den transrektalen Zugangsweg applizierter Ultraschallwellen. Die photo­dynamische Therapie besteht darin, die Zielläsion über den transperinealen Zugangsweg mit einem ultraschallgesteuerten Faserlaser zu erreichen, um dort lokal eine zytotoxische photosensible Substanz zu aktivieren, die zuvor intravenös appliziert wurde.
In einem kürzlich veröffentlichten Literaturreview wurden die Resultate der zur fokalen PCa-Therapie verwendeten Energiequellen ausführlich zusammengefasst. Zur fokalen Kryoablation wurden 11 Studien mit ins­gesamt 1950 behandelten Patienten und einem medianen Follow-up von 26 Monaten analysiert. Die Resultate zeigten ein Gesamt- und spezifisches Überleben von 100% mit erhaltener Harnkontinenz in 100% und erhaltener Erektionsfunktion in 81,5% der Fälle. Zur HIFU wurden 13 Studien mit insgesamt 346 behandelten Pa­tienten und einem medianen Follow-up von 12 Monaten untersucht. Die Resultate sind bezüglich Gesamtüberleben, spezifischem Überleben, Erhaltung von Harnkontinenz und Erektionsfunktion mit denen bei Kryoablation vergleichbar, mit Raten von 100%, 100%, 100% respektive 88,6% [8]. Zur photodynamischen Therapie bei der fokalen Behandlung gibt es weniger Daten, da das Medikament lediglich im Rahmen Hersteller-gesponserter klinischer Studien zur Verfügung gestellt wurde. In einer vor Kurzem veröffentlichten europäischen Multizenterstudie wurden jedoch über 400 PCa-Patienten mit niedrigem Risiko auf zwei Studienarme randomisiert: einen Kontrollarm mit aktiver Überwachung und einen Interventionsarm mit photodynamischer fokaler Therapie. Nach 24-monatigem Follow-up wiesen 49% der mit fokaler Therapie behandelten Pa­tienten eine negative Biopsie auf, gegenüber 14% der Probanden unter aktiver Überwachung. Die Patienten unter photodynamischer Therapie litten auf lange Sicht nicht häufiger an Harninkontinenz oder erektiler Dysfunktion als diejenigen ­unter aktiver Überwachung [9].
Alles in allem ist die fokale Therapie eine gute Behandlungsoption für sorgfältig selektierte Patienten. Es wurde bereits nachgewiesen, dass durch die Erhaltung des benachbarten Gewebes des Tumors die Toxizität im Vergleich zu den klassischen Behandlungen stark verringert werden kann. Nun bleibt noch, die mittel- bis langfristige Wirksamkeit der onkologischen Kon­trolle durch den Vergleich der fokalen Therapie mit Operation und/oder Strahlentherapie zu bestimmen, was aktuell getan wird.

Die Operation

Die radikale Prostatektomie hat eine vollständige Ablation der Prostata und der Samenblasen im Gesunden zum Ziel, wobei nach Möglichkeit, entsprechend der lokalen Karzinomausdehnung, die Potenz und die Harnkontinenz erhalten werden. Sie erfolgt üblicherweise zusammen mit einer beidseitigen Ausräumung der Nodi lymphatici iliaci und obturatorii, beziehungsweise erweitert im Gebiet der Vasa iliaca communia. Der Eingriff kann offen, mittels klassischer oder robotergesteuerter Laparoskopie erfolgen.
Auch in der radikalen Prostatektomie sind Fortschritte zu verzeichnen und sie bleibt bis heute die einzige Therapieoption, die in einer randomisierten Studie einen eindeutigen Nutzen bezüglich des Langzeitüberlebens gezeigt hat. Sie ermöglicht eine Analyse des entfernten Tumors und der befallenen Lymphknoten, was mitunter für die Prognosestellung und die Erhöhung der Chancen auf eine vollständige Heilung wichtig ist.
Durch ein besseres Verständnis der benachbarten ­anatomischen Strukturen der Prostata konnten ner­venschonende Operationstechniken («nerve-sparing»-Techniken) entwickelt werden, um die Rate der erektilen Dysfunktionen und der Harninkontinenz zu verringern (Abb. 3). Tatsächlich wurde nachgewiesen, dass der Grad der Erhaltung der neurovaskulären Bündel mit der postoperativen Erhaltung von Harnkontinenz und Potenz korreliert ist [10]. Zur Wahl der optimalen Operationsmethode, trotz der aktuellen Verbreitung der robotergesteuerten Operation, hat eine australische Studie vor Kurzem die offene Operation mit der robotergesteuerten Laparoskopie verglichen. Dabei war keine Überlegenheit einer der beiden Techniken festzustellen [11]. Wahrscheinlich hängt der Erfolg des Eingriffs direkt mit der Erfahrung des Operateurs (Erlernen der Operationstechnik, beständige Anwendung) zusammen. Denn, auch wenn, wie weiter oben angeführt, die wissenschaftlichen Daten bezüglich der Überlegenheit bestimmter Zugangswege inkonsistent sind, so ist doch eindeutig erwiesen, dass die onko­logischen und funktionellen Resultate direkt mit der ­Erfahrung des Operateurs zusammenhängen. Aus ­diesem Grund ist dringend anzuraten, die Patienten, unabhängig von der Operationsmethode, an grosse Fachzentren zu überweisen.
Abbildung 3: (A) Ansicht der Prostata (P) mit nach oben geklappter Blase (B) und davor gelegener Symphysis pubis (SP). Die ­roten Pfeile zeigen die neurovaskulären Bündel, die lateral der Prostata verlaufen. (B) Ansicht nach Prostatadissektion. Im Bereich der Harnröhre mit beidseitig erhaltenen neurovaskulären Bündeln befindet sich ein Harnkatheter.
Dank bildgebender Verfahren ist heute eine bessere präoperative Beurteilung der lokalen Karzinomausdehnung möglich. Auch der chirurgische Eingriff wird individualisiert, um die onkologische Sicherheit nicht zu gefährden und gleichzeitig mit grösstmöglicher Wahrscheinlichkeit ein gutes funktionelles Resultat zu erzielen. Denn die Erhaltung der Nervenbündel und der Resektionsumfang richten sich nach der in der MRT und durch die Biopsien ermittelten lokalen Karzinomausdehnung. Somit kann der Urologe die Resek­tionsstrategie anhand dieser Variablen an den einzelnen Patienten anpassen. Bei lokal fortgeschrittenem PCa scheint hingegen eine multimodale Behandlung, bei der die Operation mit einer anschliessenden adjuvanten Strahlentherapie kombiniert wird, die beste lokale Kontrolle der Erkrankung zu ermöglichen.

Die Strahlentherapie

Die Strahlentherapie ist eine der Alternativen für die Behandlung von lokalisiertem Prostatakrebs. Seit Langem wurde eine gute Korrelation zwischen der Strahlendosis und der Wirksamkeit der Behandlung nachgewiesen. Eine zu starke Bestrahlung der Nachbarorgane kann jedoch beträchtliche Auswirkungen auf Harnkontinenz, Potenz und Stuhlkontinenz haben. Somit stellt die Präzision der Bestrahlung das Kernproblem dar. Heute ist die Standardbestrahlungstechnik bei Prostatakrebs die intensitätsmodulierte Strahlentherapie (abgekürzt IMRT) oder ihre weiterentwickelte Variante, die «volumetric modulated arc therapy» (VMAT). Diese hat zum Ziel, die Prostata aus verschiedenen Winkeln zu bestrahlen und dabei die Strahlenausrichtung an die zuvor per MRT ermittelte Prostataform anzupassen. Durch die Möglichkeit, die Dosisverteilung auf das Zielvolumen abzustimmen, kann mit einer Strahlungsintensität von 78 Gy behandelt werden, die üblicherweise auf 39 Fraktionen mit 2 Gy pro Behandlung aufgeteilt wird, und dies bei moderatem Toxizitäts­risiko. Bei PCa mit mittlerem bis hohem Risiko wird jedoch nach wie vor die gleichzeitige Verschreibung einer sechsmonatigen beziehungsweise dreijährigen Androgendeprivation mittels Hormonbehandlung empfohlen. Tatsächlich hat eine begleitende Hormontherapie in Fällen mit mittlerem bis hohem Risiko einen nicht zu vernachlässigenden Nutzen bezüglich der Überlebensrate gezeigt [12]. Dieser wurde in zahlreichen randomisierten Studien mit Langzeit-Follow-up nachgewiesen und durch eine Metaanalyse bestätigt, in der aufgezeigt wurde, dass eine Hormontherapie zusätzlich zur Strahlentherapie eine Verringerung der ­Gesamtsterblichkeit um 5,5% und der spezifischen ­Mortalität um 4,9% ermöglicht [13]. Beim Vorschlag ­dieser Option müssen jedoch die potentiell dauerhaften ­Nebenwirkungen einer chemischen Kastration berücksichtigt werden.
Zu dieser konventionellen Strahlentherapie (der sogenannten normal fraktionierten Bestrahlung) gibt es zahlreiche alternative Möglichkeiten. Bei der Brachy- oder Kurzdistanztherapie werden radioaktive Strahlenquellen in die Prostata eingesetzt, die über kürzere Zeit eine mit der externen Strahlentherapie vergleichbare Strahlendosis abgeben sollen. Diese Therapieform zeigt mit den klassischen PCa-Behandlungen vergleichbare Resultate und ist ebenfalls bei lokalisiertem PCa mit niedrigem bis mittlerem Risiko zugelassen.
Eine weitere Alternative ist die sogenannte hypofrak­tionierte Strahlentherapie, bei der pro Fraktion eine Dosis von über 2,2 Gy verabreicht wird, was praktische Vorteile wie eine verkürzte Gesamtbestrahlungszeit hat, jedoch laut aktuellen randomisierten Studien auch Fragen zu Wirksamkeit und Verträglichkeit aufwirft.
Die robotergesteuerte Radiochirurgie mittels Cyberknife® ermöglicht aufgrund einer sehr hohen räum­lichen Präzision bei der Strahlendosisverteilung eine starke Hypofraktionierung. Die grösste, von Katz et al. [14] veröffentlichte Studienserie mit 304 Patienten, die mit einer in fünf Fraktionen verabreichten Dosis von 35–36,25 Gy behandelt wurden, hat eine hervorragende biochemische Kontrolle nach 30 Monaten ohne starke toxische Belastung ergeben. Die Auswertung dieser Studien mit geringem Evidenzgrad und sehr kurzem me­dianen Follow-up lässt jedoch ohne Langzeit-Follow-up, bei welchem eventuelle toxische Spätschäden beurteilt werden könnten, keine soliden Schlussfolgerungen zu. Durch die Genauigkeit dieser Technik könnte jedoch die Strahlendosis auf die in der MRT sichtbare Prostata­läsion selektiv erhöht werden. Dies wird derzeit in Studien untersucht (Abb. 4). Tatsächlich scheint nach einer klassischen Strahlentherapie die in der MRT sichtbare Läsion der Bereich mit dem höchsten Rezidivrisiko zu sein. Eine höhere Dosis im Läsionsbereich könnte also eine bessere lokale Kontrolle der Erkrankung zur Folge haben.
Abbildung 4: Stereotaktische Strahlentherapie der Prostata. Diese Darstellung zeigt die Intensität der Strahlendosis auf Prostata und Rektum im axialen CT-Schnittbild im Rahmen der im CHUV laufenden HYPORT-Studie (NCT02254746). Als Marker und zur Durchführung der robotergesteuerten Behandlung wurden Goldkörnchen in die Prostata implantiert.
Das Protokoll umfasst eine klassische Bestrahlung der gesamten Prostata (in Gelb) mit 36,25 Gy in 5 Sitzungen zu je 7,25 Gy und eine Steigerung der Strahlendosis im auf der MRT sichtbaren Krebsgebiet (rot) bis zu einer Gesamtstrahlendosis von 50 Gy.
Trotz verbesserter Bestrahlungs- und Repositionstechniken scheint die vordere Rektumwand nach wie vor ein Organ zu sein, das durch hohe Strahlendosen besonders gefährdet wird, da sie direkt an die hintere Prostatakapsel angrenzt. Um die strahleninduzierten Nebenwirkungen in diesem Bereich weitestgehend zu verringern, stehen heute innovative Techniken zur Verfügung, bei denen durch die Injektion einer Substanz oder die Implantation eines biologisch abbaubaren Ballons zwischen Rektumwand und Prostata der Abstand zwischen erster und letzterer vergrössert werden kann.

Das Wichtigste für die Praxis

• Dank eines besseren Verständnisses des natürlichen Verlaufs von Prostatakrebs sowie des Einsatzes der Magnetresonanztomographie konnte die Beurteilung lokalisierter Prostatakarzinome verbessert werden. Infolgedessen kann heute eine individualisierte Behandlung entsprechend den Charakteristika der Erkrankung, des Patienten und seiner Erwartungen angeboten werden.
• Eine organerhaltende Behandlung durch aktive Überwachung oder ­fokale Therapie scheint für Prostatakrebspatienten mit geringem Risiko oder einer isolierten signifikanten Läsion eine gute Alternative zu sein. Möglicherweise werden die Indikationen für diese Therapiearten noch stärker erweitert, wenn ihre Wirksamkeit durch Langzeitstudien bestätigt wurde.
• Durch die Fortschritte im Bereich der Chirurgie und Strahlentherapie ist es gelungen, die Nachteile und die Toxizität entsprechend zu verringern. Beide Methoden sind bis heute, je nach klinischem Kontext, gute kurative Behandlungsmöglichkeiten.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Massimo Valerio
Centre Hospitalier Univer­sitaire Vaudois (CHUV)
Bugnon 46
CH-1011 Lausanne
Massimo.Valerio[at]chuv.ch
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