Fulminante Myokarditis bei Influenza
Wenn die Grippe aufs Herz schlägt

Fulminante Myokarditis bei Influenza

Fallberichte
Édition
2018/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2018.03216
Forum Med Suisse 2018;18(16):355-358

Affiliations
a Universitäres Herzzentrum, UniversitätsSpital, Zürich
b Medizinische Intensivstation, UniversitätsSpital, Zürich
c Kardiologie, Kantonsspital, St. Gallen

Publié le 18.04.2018

Ein 40-jähriger, bisher gesunder Mann stellte sich aufgrund zunehmender Müdigkeit und Leistungsminderung fünf Tage nach febrilem Infekt ohne Husten oder Halsschmerzen in einer Notfallpraxis vor.

Fallbericht

Ein 40-jähriger, bisher gesunder Mann stellte sich aufgrund zunehmender Müdigkeit und Leistungsminderung fünf Tage nach febrilem Infekt ohne Husten oder Halsschmerzen in einer Notfallpraxis vor. Bei klinischem Verdacht auf einen viralen Infekt wurde eine symptomatische Therapie eingeleitet. In der Folge kam es jedoch zu einer allmählichen Zustandsverschlechterung, mit neu aufgetretenen, lageabhängigen Thoraxschmerzen sowie einmaliger Synkope, so dass am Folgetag eine notfallmässige Einlieferung ins Kantonsspital St. Gallen erfolgte.
Zu diesem Zeitpunkt präsentierte sich der Patient in einem deutlich reduzierten Allgemeinzustand, afebril und hämodynamisch stabil (Blutdruck 98/65 mm Hg, Puls 87/min) mit suffizienter Sauerstoffsättigung unter Raumluft. Die Laboruntersuchung zeigte ein CRP von 11 mg/l, normale Leukozyten, eine normale Nierenfunktion und bis auf ein leicht erhöhtes ASAT von 116 U/l eine normale Leberfunktion. Das aufgrund von Thoraxschmerzen und Synkope durchgeführte EKG zeigte diffuse ST-Hebungen und eine periphere Niedervoltage (Abb. 1), die kardialen Biomarker waren erhöht (Troponin I 15 700 ng/l, CK 846 U/l). Zur weiteren Abklärung erfolgte eine notfallmässige Echokardiographie, welche eine schwer einschränkte linksventrikuläre Funktion (Auswurffraktion um 10% bei diffuser Hypo- bis Akinesie) und eine mittelschwer eingeschränkte rechtsventrikuläre Funktion bei nicht dilatierten Ventrikeln sowie einen zirkulären, hämodynamisch nicht relevanten Perikarderguss zeigte (Abb. 2). Hinweise für eine relevante koronare Herzerkrankung fanden sich im Herz-CT nicht. Bei hochgradigem Verdacht auf eine fulminante Myokarditis wurde der Pa­tient aufgrund der Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verschlechterung mit Notwendigkeit einer Kreislaufunterstützung in noch hämodynamisch stabilem Zustand ans Universitätsspital Zürich verlegt.
Abbildung 1: Initiales EKG mit diffusen ST-Hebungen und peripherer Niedervoltage.
Abbildung 2: Echokardiographie mit Nachweis eines hämodynamisch nicht-signifikanten Perikardergusses. Die entsprechenden Echo-Loops finden Sie im Online-Magazin unter https://medicalforum.ch/online-magazine/list/ in der Kategorie «Multimedia».
Dort manifestierten sich zunehmend Zeichen der ­peripheren Minderperfusion (Hypotonie, Somnolenz, kühle Extremitäten, Laktatanstieg auf 2,3 mmol/l). Trotz medikamentöser Kreislaufunterstützung (Dobutamin) konnte keine hämodynamische Stabilisierung erreicht werden, weshalb am Folgetag die Anlage eines bifemoralen veno-arteriellen extrakorporalen Lebenserhaltungssystems (va-ECLS, Abb. 3) erfolgte. Zudem musste der zunehmend hämodynamisch relevante Perikarderguss durch eine Perikardpunktion entlastet werden.
Abbildung 3: Bifemorales venoarterielles extrakorporales Lebenserhaltungssystem ­(va-ECLS): Sauerstoffarmes Blut (blau) aus V. femoralis, sauerstoffreiches Blut (rot) ­zurück in A. femoralis. (Quelle: MAQUET Cardiopulmonary AG, Nachdruck mit freund­licher Genehmigung.)
Die Ursache der fulminanten Perimyokarditis interpretierten wir bei entsprechender Anamnese und positivem Influenza A-Test (real-time-PCR und konven­tionelle PCR) als am ehesten viral bedingt. In der Myokardbiopsie des rechtsventrikulären Septums zeigten sich dazu passend lymphozytäre T-Zell-Infil­trate (Abb. 4), allerdings konnte der Virus im Myokardgewebe nicht nachgewiesen werden. Eine antivirale Therapie wurde mit Oseltamivir über 5 Tagen durchgeführt.
Abbildung 4: A: Hämatoxylin-Eosin-Färbung des Myokardgewebes mit Infiltration von mononukleären Zellen (Vergrösserung: ×40). B: Immunfärbung für CD3+ mit Darstellung von T-Zell-Infiltraten im Myokardgewebe (Vergrösserung ×10).
Nach Gabe von Levosimendan (Tag 5) konnte am Tag 9, unter gebesserter linksventrikulärer Funktion, das ECLS entfernt und die vasoaktive Therapie ausgeschlichen werden. Eine Herzinsuffizienztherapie mit ACE-Hemmer und Betablocker wurde schrittweise begonnen. Das high-sensitive Troponin T stieg von initial 673 ng/l über die ersten Tage an, erreichte den Peak am Tag 5 (2961 ng/l) und war im Verlauf langsam regredient. Das am Tag 13 durchgeführte Herz-MRI zeigte erfreulicherweise eine vollständige Normalisierung der biventrikulären systolischen Funktion mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von 57%, regionale Fibrose oder Narben wurden nicht nachgewiesen (kein «late gadolinium enhancement»). Der Patient trat nach insgesamt zwei Wochen Spitalaufenthalt in einem guten Zustand in die Rehabilitation aus.

Diskussion

In den Wintermonaten treten virale Erkrankungen der oberen und unteren Luftwege gehäuft auf und verursachen in den meisten Fällen milde, selbstlimitierende Infektionen. Typische Symptome der saisonalen Grippe, verursacht durch Influenza A- und Influenza B-Viren, sind Fieber, Schüttelfrost, Gliederschmerzen und Husten aber auch Hals- und Schluckschmerzen sowie Schnupfen. Subklinische Verläufe sind ebenfalls möglich. Die Grippe wird meist als milde, selbstlimitierende Infektion wahrgenommen, verursacht jedoch in der Schweiz gemäss Bundesamt für Gesundheit jährlich 112 000 bis 275 000 Arztkonsultationen, mehrere tausende Hospitalisationen und mehrere hundert Todesfälle aufgrund von Komplikationen. Als typische Komplikationen zeigen sich Pneumonien, Perimyokarditiden, Sinusitiden, Otitiden und neurologische Komplikationen sowie bakterielle Superinfektionen. Schwere Verläufe, auch bei ansonsten gesunden Patienten, sind beschrieben [1].
Dieses Fallbeispiel zeigt eindrücklich einen fulminanten Verlauf einer mutmasslichen Influenza-Perimyokarditis, mit einer akuten schweren Herzinsuffizienz, die dank invasiver, intensivmedizinischer Therapie erfolgreich behandelt werden konnte.
Die Perimyokarditis als Komplikation der Influenza-Infektion tritt meist akut oder fulminant auf und zeigt eine Inzidenz von bis zu 10%, obwohl eine asymptomatische kardiale Muskelbeteiligung häufiger scheint. Als schwerwiegende, potentiell letale Folge kann die Influenza-Myokarditis zu einer relevanten Einschränkung der Auswurffraktion und zum kardiogenen Schock führen [2].
Die initiale klinische Präsentation bei unserem Patienten war unspezifisch. Fieber und Atemwegssymptome gehen häufig den kardialen Symptomen voraus und in der ersten Phase ist es besonders schwierig, zwischen milden und schweren Verläufen zu unterscheiden. Aber das Auftreten einer zunehmenden Leistungsminderung, lageabhängiger Thoraxschmerzen und der Synkope deutete auf eine kardiale Mitbeteiligung hin. Die typischen, diffusen Repolarisationsstörungen im EKG sowie die erhöhten kardialen Biomarker führten zur Verdachtsdiagnose einer Perimyokarditis. Eine koronare Herzerkrankung wurde bei tiefer Vortestwahrscheinlichkeit bei diesem jungen Patienten mittels Koronarangiographie-CT ausgeschlossen.
Bemerkenswert war, dass Blutdruck und Laktat, trotz schwer eingeschränktem Herzminutenvolumen, lange im Normbereich blieben. Dies kann jedoch bei jungen, gesunden Patienten dank funktionierenden Kompensationsmechanismen (z.B. Vasokonstriktion) häufig beobachtet werden. Die kühlen Extremitäten und zunehmende Somnolenz waren aber Zeichen, dass die Organperfusion bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich reduziert war. Auch bei noch normwertigen Vitalparametern darf deshalb der Schweregrad der Erkrankung in diesem Stadium nicht unterschätzt werden.
Die frühzeitige Echokardiographie war entscheidend für die Diagnose und Quantifizierung des Schweregrads der myokardialen Dysfunktion (Triage). Eine Echokardiographie sollte bei Verdacht auf eine kardiale Ursache zügig durchgeführt werden [3]. Typisch für eine Perimyokarditis zeigten sich diffuse Kinetikstörungen, beide Ventrikel betreffend, und ein Perikarderguss [4]. Eine myokardiale Wandverdickung bei Ödem kann ebenfalls beobachtet werden.
Pathophysiologisch führt das Influenza-Virus zu einem direkten Befall der Kardiomyozyten. Für die Initiation und Progression der entzündlichen Kardiomyopathie spielen jedoch Immunmodulatoren (Zytokine, TNF-Faktoren, Interleukine) eine wichtige Rolle (Abb. 5) [2]. Dies scheint auch die Erklärung für die unterschiedlichen klinischen Verläufe bei den einzelnen Patienten zu sein. Es wird angenommen, dass die Viruspersistenz zu einer Aufrechterhaltung der Entzündung und Auftreten der Erkrankung führt, dagegen wird durch Beseitigung des Virus die Immunantwort unterdrückt [4]. Eine antivirale Therapie mit Neuraminidase-Hemmer wird trotz fehlender Evidenz bei nachgewiesener Influenza empfohlen, und um Komplikationen bei kritisch kranken Patienten zu vermeiden kann diese unabhängig vom Zeitpunkt des Symptombeginnes jederzeit erfolgen [1].
Abbildung 5: Pathogenese der viralen Myokarditis (modifiziert nach [4]).
Der diagnostische Wert einer routinemässigen Endomyokardbiopsie bei allen Myokarditis-Patienten ist aufgrund der möglichen Komplikationen, Sampling-Errors und häufig fehlenden therapeutischen Konsequenzen umstritten. Bei fulminanten Verläufen dient die Endomyokardbiopsie jedoch zur Unterscheidung einer Riesenzellmyokarditis von anderen Formen. Diese Unterscheidung hat wichtige therapeutische Konsequenzen. Die Riesenzellmyokarditis muss, im Gegensatz zu lymphozytären Myokarditiden, mit Immunsuppressiva behandelt werden [4]. Deshalb wurde auch bei unserem Patienten aufgrund des fulminanten Verlaufes die Indikation zur Endomyokardbiopsie gestellt, wobei sich keine Hinweise für eine Riesenzellmyokarditis zeigten und passend zu einer viralen Myokarditis konnten lymphozytäre Infiltrate nachgewiesen werden. Einschränkend muss erwähnt werden, dass kein Virus-PCR im Myokardgewebe nachgewiesen werden konnte und somit die Ursache nicht gänzlich bewiesen ist. In Frage käme auch eine durch den Influenza-Virus getriggerte Autoimmunmyokardits. Aufgrund des zeitlichen Ablaufes bei entsprechender Anamnese und nachgewiesener Influenza-Infektion ist man von einer Influenza-Myokarditis ausgegangen.
Eine zunehmende Rolle in der Diagnostik bei Myokarditiden spielt das Herz-MRI durch Nachweis von funktionellen und morphologischen Myokardveränderungen (Entzündung, Nekrose, Fibrose) sowie deren Ausmass, obwohl diese Untersuchung eine niedrige Sensitivität und Spezifität aufweist [4]. Bei unserem ­Patienten konnte in der Akutphase aufgrund des ECLS kein Herz-MRI durchgeführt werden.
Obwohl die meisten akuten Myokarditiden mit nur einer leichten Einschränkung der systolischen Funktion einhergehen, sollen Patienten mit schwerer Einschränkung der Herzfunktion ohne Zeitverlust in ein Tertiärzentrum verlegt werden. Bei schwerer myokardialer Dysfunktion mit klinischen und/oder laboranalytischen Zeichen der Minderperfusion (z.B. kalte Extremitäten, Oligurie, Vigilanzminderung, Laktaterhöhung) sollte eine medikamentöse Therapie mit Inotropika zur Wiederherstellung der Organperfusion eingeleitet werden. Bei unzureichendem Ansprechen auf inotrope Therapie ist eine rasche Einleitung einer mechanischen Kreislaufunterstützung entscheidend für die Prognose [5]. Die mechanische Kreislaufunterstützung kann als Überbrückung bis zur kardialen Erholung («bridge to recovery») oder als Überbrückung bis zur langfristigen Lösung («bridge to transplant» bei Herztransplantation oder «bridge to bridge» bei Implantation eines «ventricular assist device») erfolgen [4].
Die Mortalität bleibt trotz intensivierter Therapie hoch [1] und Patienten mit fulminanter Myokarditis haben während der akuten Phase ein hohes Risiko für Herztod oder schwere refraktäre Herzinsuffizienz mit Bedarf eines Kunstherzes bzw. Herztransplantation. Pa­tienten, die jedoch eine Erholung der Auswurffraktion zeigen, haben nach der akuten Phase meist eine gute Langzeitprognose und eine stabile linksventrikuläre Funktion [6].

Das Wichtigste für die Praxis

• Die Grippe verläuft meistens mild, schwere Verläufe treten jedoch gelegentlich auf. Eine schwere Perimyokarditis ist eine seltene, aber ernsthafte Komplikation einer Influenza-Infektion.
• Alarmsymptome wie Thoraxschmerzen, relevante Leistungsminderung und Präsynkopen trotz Besserung der grippalen Beschwerden können auf eine kardiale Mitbeteiligung hindeuten und gehören abgeklärt.
• Das EKG und die Bestimmung der kardialen Biomarker sind für die ­Diagnosestellung wegweisend.
• Entscheidend ist eine frühzeitige Echokardiographie zur Diagnosestellung und Quantifizierung des Schweregrads der myokardialen Dysfunktion (Triage).
• Die Früherkennung und frühzeitige Verlegung der schweren Fälle ins ­Tertiärspital mit Möglichkeit einer mechanischen Kreislaufunterstützung sind für die Prognose entscheidend.
Herzlichen Dank an PD Dr. med. M. Choschzick, Oberarzt des patho­logischen Instituts des USZ, für die Bereitstellung der histologischen Bilder.
AF hat deklariert, Travel support von Orion Pharma Schweiz erhalten zu haben. Die anderen Autoren haben keine finanziellen oder persön­lichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Andreas Flammer
Leiter Herzinsuffizienz und Transplantation
Universitäres Herzzentrum
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
andreas.flammer[at]usz.ch
1 Ukimura A, Satomi H, Ooi Y, Kanzaki Y. Myocarditis Associated with Influenza A H1N1pdm2009. Influenza Res Treat. 2012;2012:351979.
2 Mamas MA1, Fraser D, Neyses L. Cardiovascular manifestations associated with influenza virus infection. Int J Cardiol. 2008;130(3):304–9.
3 Ponikowski P, Voors AA, Anker SD, Bueno H, Cleland JGF, Coats AJS, et al. 2016 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J. 2016;37:2129–200.
4 Blauwet LA, Cooper LT. Myocarditis. Prog Cardiovasc Dis. 2010;52(4):274–88.
5 Papadopoulos N, Marinos S, El-Sayed Ahmad A, Keller H, Meybohm P, Zacharowski K, et al. Risk factors associated with adverse outcome following extracorporeal life support: analysis from 360 consecutive patients. Perfusion. 2015;30(4):284–90.
6 Ammirati E, Cipriani M, Lilliu M, Sormani P, Varrenti M, Raineri C, et al. Survival and left ventricular funcion changes in fulminant versus nonfulminant acute myocarditis. Circulation. 2017;136(6):529–45.